Manche Tierärzte empfehlen, Hündinnen stets zu kastrieren - das schütze vor Krebsgeschwüren. Tatsächlich aber ist der Eingriff oft völlig unnötig und er kann unerwünschte Nebenwirkungen haben.
Die Hündin liegt auf dem Rücken, alle Beine von sich gestreckt. Durch einen Schnitt im Bauch werden Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Der Eingriff dauert rund 40 Minuten, reine Routine. Der Grund für die Operation kann eine Gebärmutterentzündung oder ein Tumor sein. Die meisten der vierbeinigen Patienten aber sind vor der Kastration, wie der Eingriff korrekt genannt wird, kerngesund. Viele Besitzer hoffen auch, dass es dank der Operation so bleibt.
Oft haben ihnen Tierärzte gut zugeredet: Die Kastration beuge späteren Krankheiten wie Entzündungen der Gebärmutter oder Mammatumoren vor, also Krebsgeschwüren an den Brustleisten. Auf manchen Online-Seiten von Tierarztpraxen heißt es sogar, jede vierte Hündin, die nicht vor der zweiten Läufigkeit kastriert werde, bekomme diesen Krebs. Vor diesem 25-Prozent-Risiko wollen viele Halter ihre Tiere bewahren.
"Die Kastration ohne medizinische Notwendigkeit ist die häufigste Operation bei Hündinnen", berichtet Axel Wehrend, Tiermediziner an der Universität Gießen. Dabei ist sie laut Tierschutzgesetz nur in Ausnahmefällen erlaubt, zum Beispiel "zur Verhinderung unkontrollierter Fortpflanzung". Bei seiner eigenen Hündin hat sich Wehrend indes gegen eine Kastration entschieden. Und er kritisiert die Ansicht, die Operation sei immer auch eine Art Prophylaxe. Dabei wird - wie zuweilen auch beim menschlichen Brustkrebs - nämlich mit irreführenden Zahlen gearbeitet.
Von 25 Prozent Krebsrisiko ohne Kastration ist die Rede - doch das ist nichts als ein Missverständnis
"Die Behauptung, ein Viertel der nicht-kastrierten Hündinnen bekomme Krebs, ist schlicht falsch", sagt der Gießener Forscher. Die angeführten 25 Prozent gälten gar nicht für die Fallzahlen der Tumore, sondern bezögen sich nur auf das relative Risiko. Bei Hündinnen, die erst nach der zweiten Läufigkeit kastriert werden, beträgt demnach das Krebsrisiko nicht insgesamt 25 Prozent, sondern nur 25 Prozent des Risikos, das nicht-kastrierte Tiere haben - ein viel geringerer Wert. Von den nicht-operierten Hündinnen bekommen laut den 2002 im Magazin "Tierärztliche Praxis" zusammengefassten Studien höchstens 1,86 Prozent Brustleistentumore. Für jene, die nach der zweiten Läufigkeit kastriert wurden, sinkt das Risiko auf 0,5 Prozent, also fünf von tausend Weibchen. "Das ist etwa ein Viertel des Risikos, das unkastrierte Hündinnen haben, und daher kommen die oft angeführten 25 Prozent", erklärt Wehrend. Der schützende Effekt ist der Literatur zufolge am größten, wenn vor der ersten Läufigkeit kastriert wurde.
Wehrend sieht allerdings auch diese Angaben kritisch. "Nur etwa die Hälfte aller Mammatumoren sind bösartig. Das relativiert die Zahlen noch einmal", sagt er. Zudem sei die Auswahl der Hunde in keiner Studie repräsentativ gewesen. Die Daten wurden in der Regel über pathologische Institute oder Tierarztpraxen erhoben. Liegen diese in der Stadt, sind in der Regel durchschnittlich mehr kleine Hunde unter den Patienten als auf dem Land. Manche Studien stammen zudem aus den 1970er-Jahren, als noch Schäferhund und Dackel in Mode waren, statt wie heute Labrador und Mops. "Dabei sind verschiedene Rassen unterschiedlich stark anfällig für Mamatumore", sagt der Tiermediziner.
Auch Wissenschaftler des Royal Veterinary College in Großbritannien kritisieren die Qualität der bisherigen Studien. Sie haben alle bis 2010 herausgebrachten, englischsprachigen Untersuchungen zum Thema nach den strengen Kriterien der evidenz-basierten Medizin geprüft. Die Ergebnisse wurden 2012 im Fachblatt Journal of Small Animal Practice veröffentlicht. Nur vier von 13 Studien lieferten überhaupt belastbare Fakten und lediglich eine weise auf einen schützenden Effekt der Kastration hin, allerdings ohne Zahlen zu nennen, schreiben die Forscher. Insgesamt gebe es keine solide wissenschaftliche Basis, um den Eingriff wegen eines geringeren Brustkrebsrisikos zu empfehlen.
Die Operation kann medizinisch sinnvoll sein. Aber das gilt längst nicht für alle Hündinnen.
Was die Risiken der Kastration betrifft, sind ebenfalls noch Fragen offen. Unumstritten ist, dass manche Hündinnen inkontinent werden, auch wenn unklar ist, wie oft das passiert. Die Angaben in der Literatur liegen zwischen einem und mehr als 20 Prozent. Manche kastrierte Hündinnen legen zudem schnell ein paar Pfunde zu, wenn der Halter nicht aufpasst. Auch Verhaltensänderungen zählen zu den unerwünschten Nebenwirkungen. "Hündinnen zum Beispiel, die sich gegen Artgenossen aggressiv verhalten, sollten auf keinen Fall ohne Not kastriert werden", rät Willa Bohnet von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Durch die fehlenden Östrogene werde die Hündin in der Regel noch aggressiver.
In den vergangenen Jahren wurden zudem einige Untersuchungen veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass Kastrationen bei manchen Rassen andere Krebsarten begünstigen könnten, unter anderem Knochentumore bei Rottweilern, Lymphkrebs bei Golden Retrievern und Tumore, die vor allem die Milz befallen, bei Magyar Vizslas. Allerdings haben diese Untersuchungen ähnliche Schwächen wie die Studien zum Brustkrebsrisiko.
Trotz aller Kritik kann eine Kastration einer gesunden Hündin im Einzelfall durchaus medizinisch sinnvoll sein. "Im Fall familiärer Häufungen von Mammatumoren etwa oder wenn Hündinnen sehr unter Scheinschwangerschaften leiden", sagt Bohnet. Von pauschalen Kastrationsempfehlungen hält sie nichts. "Große Hunde zum Beispiel neigen in höherem Alter zu lebensgefährlichen Magendrehungen. Trotzdem käme keiner auf die Idee, allen großen Hunden prophylaktisch den Magen festzunähen", erklärt sie.
Angesichts der unsicheren Datenlage ist es zumindest befremdlich, wie beispielsweise eine Tierarztpraxis aus Sachsen-Anhalt für die Kastration von Hündinnen wirbt. Die Internetseite zeigt Fotos von Mammatumoren, Eierstöcken mit Zysten und eine vereiterte Gebärmutter. "Die Kastration schützt Ihr Tier vor vielen Krankheiten, kann aber auch Ihr Leben leichter machen", heißt es darunter. Und vermutlich auch das der Veterinäre: Der Eingriff kostet inklusive Vor- und Nachuntersuchungen 200 bis 400 Euro.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, SZ.de, 15. Januar 2015, 16:28 Uhr, Andrea Hoferichter